Dublin-Roulette

Ahmed und Alena berichten:

22.06.2015
„Da viele von Euch großen Anteil an der Situation unseres Freundes genommen haben, möchten wir euch gerne auch in dieser Sache auf dem aktuellen Stand halten.
Nach der Nachricht über die Abschiebung nach Italien hatten wir die Woche Zeit, alles sacken zu lassen. Das hat mal mehr und mal weniger gut geklappt. Wir haben alle viel Zeit mit ihm und den anderen verbracht… weil man doch einfach das Gefühl hat, es könnte bald vorbei sein und man sieht sich vielleicht nie wieder. Trotzdem hat man den Wunsch, Stärke zu zeigen. Für ihn und für alle, die uns in einer gleichen Situation noch begegnen werden. Aber im stillen Kämmerlein ist man schon traurig.
Wir haben die Woche alle notwendigen Unterlagen für den Termin beim Anwalt zusammen gesucht. Das wichtige Papier über die Leistungen vom Sozialamt war wie zu erwarten nicht aufzutreiben. Ok, auf zum Sozialamt. „Oh das System funktioniert leider nicht. Ich kann Ihnen die Bescheinigung nicht ausstellen“. Da bekommt man schnell das Gefühl, nicht nur die Gesetze der EU, sondern jeder will verhindern, dass wir alle harmonisch miteinander leben können.
Heute Morgen gab es Versuch Nr. 2 an dieses Papier zu kommen. Ich habe das Gefühl, dass die Stimmung der Leistungsbezieher und der „Aufpasser“ dort immer gereizter wird. Die Geflüchteten schreien sich gegenseitig an und haben Sorge, dass sich jemand vordrängeln könnte. Die Mitarbeiter reden mit den Leuten und über sie, als hätten sie es nicht mit Menschen zu tun. In dem Moment bin ich ein bisschen froh, dass die Leute sie nicht verstehen können. Dass wir auf die allerletzte Sekunde den Bescheid erhielten, war Glück. Gerade schien das System 5 Minuten zu funktionieren. Im Sprint zum Anwalt.
Heute wird Klage gegen den Abschiebebescheid nach Italien eingelegt. Es besteht eine 50:50 Chance. Eine Kammer lässt die Klagen durchgehen, eine andere lehnt sie ab. Welcher man zugeteilt wird, ist Glückssache. Wird die Klage abgelehnt, wird es innerhalb der nächsten zwei Wochen „Rückführung in das Erstaufnahmeland der EU“ heißen. Geht sie durch, ist Deutschland dazu verpflichtet, den Asylantrag zu bearbeiten. Ich habe ständig nur das Wort „Rückführung“ im Kopf. Keiner will, dass irgendwer irgendwohin zurückgeführt wird. Er nicht, wir nicht und Italien erst recht nicht. Aber was dann?
Es spielen sich Bilder in meinem Kopf ab… Ich will lieber nicht dran denken!

Wir kamen auf die Idee, ihm seine Zeit (hoffentlich nicht die letzte hier) schöner zu gestalten. Wir haben uns überlegt, ein Gästezimmer für M. zu suchen, damit er nicht mehr in der Flüchtlingsunterkunft schlafen muss. Also haben wir einen Aufruf gestartet. Es hat sich ziemlich schnell jemand gemeldet. Eine Freundin, die M. auch kennt. Bei ihr ist für ein paar Wochen ein Zimmer frei. M. hat das Angebot angenommen. Er wird nicht komplett aus der Unterkunft ausziehen, sondern nur ab und zu da übernachten und wird hoffentlich für die nächsten paar Tage ein bisschen Ruhe finden.“

Text: Ahmed Abdellatif und Alena Mörtl

Eine ganz schön volle Woche

Alena berichtet:
„Eine ganz schön volle Woche…
Der Deutschkurs vom Projekt Ankommen hat begonnen. Alle sind in freudiger Erwartung, wie unser Angebot angenommen wird.
Die uns sehr ans Herz gewachsene Mutter aus Ghana, die Meike und ich bei ihrem Auszug unterstützt haben, vermisst und wünscht sich einen Besuch. Das kriegen wir sicher hin!!
Heute habe ich zwei junge Männer zum Sozialamt begleitet. Die beiden leben schon seit November in einer der Unterkünfte in Dortmund. Sie sehen andere Menschen kommen und gehen und wünschen sich nun auch endlich eine eigene Wohnung. Die Wohnungsbesichtigung gestern war sehr vielversprechend und der Vermieter offen, da er schon mehrere Wohnungen an geflüchtete Menschen vermietet hat (unter anderem unsere Mama aus Ghana). Nun muss alles schnell organisiert werden, da die Wohnung sonst an andere Interessenten vergeben wird.
H., M. und ich stiefelten durch die halbe Stadt um alle notwendigen Unterlagen vom Sozialamt zu organisieren. H. ist dort schon bekannt wie ein bunter Hund. Da er im Rollstuhl sitzt, hat er natürlich einen hohen Wiedererkennungswert, aber auch durch seine freundliche Art und sein mittlerweile sehr gutes Deutsch fällt er positiv auf. Wir mussten nicht lange warten. Beide können in eine gemeinsame Wohnung ziehen. Dies hatten sie sich gewünscht und würde für H. in Sachen Haushalt usw. eine große Erleichterung bedeuten. Auch sämtliche Fragen, die uns (oder vielleicht auch nur mir) auf der Seele brannten, konnten wir loswerden.
Nun muss fix der Mietvertrag unterschrieben werden und dann können wir damit starten die Möbel zu organisieren.
Also auf ein Neues und frohes Schaffen…“
Text: Alena Mörtl