Nicht die Sprache, das Interesse am Menschen zählt

Wir verstehen uns auch ohne Worte…

(geschrieben von Alena und Anke)

Anke und ich entschieden uns bei unserem ersten Patenschafts-Stammtisch im Juni mutig, die aus Afghanistan geflüchtete Mutter F. zu betreuen. Sie spricht keine uns verständliche Sprache, sondern ausschließlich Persisch und lebt mit ihrem 25-jährigen Sohn A. in einer eigenen Wohnung.

Die Kontaktaufnahme gestaltet sich schwierig

Aufgrund der fehlenden Persischkenntnisse klappt die erste telefonische Terminvereinbarung nur mit Hilfe einer Arbeitskollegin. Ich erinnere mich noch genau an den Moment als wir das erste Mal vor ihrer Haustür standen, nicht wissend, was uns erwartet und wie wir mit ihnen kommunizieren können.

Angst, Unsicherheit, Nervosität

Wir wurden in die Wohnung gebeten und bekamen erstmal einen Chai-Tee serviert. Neben einem Tisch voller Papiere, diversen Arzt- und Krankenhausunterlagen sowie einem Haufen verschiedener Tabletten, ablaufenden Aufenthalts-Duldungsgenehmigungen und Zetteln mit handgeschriebenen, nicht zuzuordnenden Telefonnummern, haben wir offensichtlich auch die psychischen Probleme eines Kriegsflüchtlings erheblich unterschätzt. Es flossen viele Tränen.

Wir – nervös und überfordert, weil wir nichts falsch machen wollten. Sie – nervös, weil sie nicht verstanden haben, wer wir sind und was wir eigentlich von ihnen wollten.

Zum Glück haben weder wir, noch unsere beiden Flüchtlinge sich davon abschrecken lassen und uns Zeit gegeben, etwas zwischen uns entstehen zu lassen. Wir entschieden, einmal die Woche zu festen Uhrzeiten vorbei zu kommen und planten einen Schritt nach dem anderen, um die aufgelaufenen Probleme abzuarbeiten.

Wir begannen nicht mit Amtsbesuchen oder kompliziertem Papierkram (abgesehen natürlich von der Verlängerung der Duldungsgenehmigung), sondern mit einem langsamen, gegenseitigen Kennenlernen und Aufeinanderzugehen. Wir saßen zusammen, tranken Unmengen an Chai-Tee und versuchten, uns mit Händen und Füßen, Deutsch, Englisch und Persisch gegenseitig Geschichten zu erzählen.

Mittlerweile haben wir eine eigene Sprache entwickelt und das Gefühl, einander zu verstehen – auch wenn wir durch einen Dolmetscher leider ehrlicherweise erfuhren, dass wir öfter völlig aneinander vorbei redeten. Nun ja, es spricht die gegenseitige Zuneigung, Sympathie und Dankbarkeit, wenn wir miteinander kommunizieren. Das ist doch schon mal was.

Davon zu erfahren, warum und wie sie von Afghanistan hierher gekommen sind, dass dort noch eine Tochter/Schwester lebt, wo sie genau her kommen, welcher Religion sie angehören und was sie sich für die Zukunft wünschen, haben uns gerührt und waren für uns unvorstellbar.

Sich auszumalen, was diese beiden Menschen hinter sich gelassen und auf sich genommen haben, macht uns demütig

Aufgrund der psychischen Probleme von F. war es für uns anfangs kaum denkbar, dass sie einen Sprachkurs besucht oder alleine im Alltag zurechtkommt. Sie schaffte es anfangs nicht, alleine vor die Tür zu gehen. Ich erinnere mich an einen Tag, als sie in Ankes Begleitung mit dem Zug zu einem Arzt fahren musste. Voller Panik sah sie Anke am Hauptbahnhof an und wusste nicht, wie sie nach dem Arztbesuch alleine zurück nach Hause finden sollte.

Wir setzten sie bezüglich des Sprachkurses nicht unter Druck und stellten irgendwann fest, dass sie von sich aus dazu bereit und motiviert war. Wir unterstützten sie, ihre Ängste abzubauen, fuhren gemeinsam U-Bahn und zeigten ihr den Weg zurück nach Haus. Auch kleine Hilfen im Alltag, wie z.B. der Weg zu einem Telefonshop, in dem sie sehr viel günstiger als mit dem Handy mit ihrer Tochter im Iran telefonieren kann, haben große Auswirkungen.

Immer wieder fühlten wir uns in ihre Situation ein und schauten, was sie brauchen könnte, um ihr das Leben hier etwas zu erleichtern bzw. zu verschönern und entwickelten dabei immer mehr Ideen.

Mittlerweile gehen beide seit Wochen regelmäßig zu ihren Sprachkursen und lernen motiviert deutsch. Vor zwei Wochen äußerte F. den Wunsch, uns als Dankeschön für unsere Unterstützung zu bekochen.

Ein toller Abend, der uns sehr berührte

Wir wurden mit so viel Herzlichkeit und Wärme empfangen, dass wir gar nicht wieder gehen wollten. Der Tisch war mit Liebe gedeckt. Eine Kerze wurde angezündet. Es gab so viel Essen wie bei uns an Weihnachten. Wir lernten vieles über afghanisches Essen, Traditionen und Kultur. Ein Gemisch aus Persisch, Deutsch und Englisch flog durch den Raum. Das Allerschönste: Es wurde viel gelacht. Das bisherige Fazit unserer Patenschaft lautet:

Nicht die Sprache, sondern das Interesse am Menschen zählt

Wir haben erfahren, wie sich Beziehung und Freundschaft nicht nur durch Worte entwickeln kann.

Nach vier Monaten haben wir das Gefühl, die beiden schon ewig zu kennen. Wir wissen jetzt, dass wir an uns keine hohen Ansprüche stellen oder Angst haben müssen, etwas falsch zu machen. Für uns ist das „Flüchtlingsleben“ genauso neu gewesen wie für die Flüchtlinge selbst, mit dem Unterschied, dass wir verstehen, was die Umwelt von ihnen will oder verlangt. Wir sind zusammen in diese Patenschaft hinein gewachsen. Wir helfen, wo und wie wir können, aber wenn es nicht geht, geht es eben nicht. Und wenn keine Fragen oder Probleme offen sind, dann sind wir trotzdem herzlich willkommen – als wäre man zu Hause.

Wir blicken zurück auf das, was entstanden ist und sind erfüllt mit Liebe, Glück und Dankbarkeit. Damit haben wir nicht gerechnet. Am schönsten war es, mitzuerleben, wie Tränen größtenteils durch Lachen ersetzt wurden.

Inzwischen haben wir die zwei so lieb gewonnen, unsere regelmäßigen Treffen sind nicht mehr wegzudenken.

Gemeinsames Essen, Foto: privat

Eine ganz schön volle Woche

Alena berichtet:
„Eine ganz schön volle Woche…
Der Deutschkurs vom Projekt Ankommen hat begonnen. Alle sind in freudiger Erwartung, wie unser Angebot angenommen wird.
Die uns sehr ans Herz gewachsene Mutter aus Ghana, die Meike und ich bei ihrem Auszug unterstützt haben, vermisst und wünscht sich einen Besuch. Das kriegen wir sicher hin!!
Heute habe ich zwei junge Männer zum Sozialamt begleitet. Die beiden leben schon seit November in einer der Unterkünfte in Dortmund. Sie sehen andere Menschen kommen und gehen und wünschen sich nun auch endlich eine eigene Wohnung. Die Wohnungsbesichtigung gestern war sehr vielversprechend und der Vermieter offen, da er schon mehrere Wohnungen an geflüchtete Menschen vermietet hat (unter anderem unsere Mama aus Ghana). Nun muss alles schnell organisiert werden, da die Wohnung sonst an andere Interessenten vergeben wird.
H., M. und ich stiefelten durch die halbe Stadt um alle notwendigen Unterlagen vom Sozialamt zu organisieren. H. ist dort schon bekannt wie ein bunter Hund. Da er im Rollstuhl sitzt, hat er natürlich einen hohen Wiedererkennungswert, aber auch durch seine freundliche Art und sein mittlerweile sehr gutes Deutsch fällt er positiv auf. Wir mussten nicht lange warten. Beide können in eine gemeinsame Wohnung ziehen. Dies hatten sie sich gewünscht und würde für H. in Sachen Haushalt usw. eine große Erleichterung bedeuten. Auch sämtliche Fragen, die uns (oder vielleicht auch nur mir) auf der Seele brannten, konnten wir loswerden.
Nun muss fix der Mietvertrag unterschrieben werden und dann können wir damit starten die Möbel zu organisieren.
Also auf ein Neues und frohes Schaffen…“
Text: Alena Mörtl

Ein erster Einblick

Meike berichtet:

2. Mai
Heute haben Alena und ich eine Liste von Familien bekommen, die bald ausziehen. Es sind einige und wir suchen uns eine aus – ich kenne nicht einmal irgendwen davon, aber Alena gibt in der Unterkunft Deutschkurse und kennt einige. Für mich war es nur wichtig, dass ich sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann, da ich kein Auto habe. Wir haben uns für Familie Af. entschieden – eine Mutter mit sechs Kindern zwischen 3 und 16 Jahren. Direkt mal eine Mammutaufgabe. Aber alle sprechen Englisch und teilweise ein bisschen Deutsch. Das soll schon werden.

3. Mai
Alena und ich waren in der Unterkunft und haben mit der Mutter der Familie gesprochen, uns vorgestellt und sind mit ihr die ersten Dinge durchgegangen. Wir haben ihr gesagt, dass wir ihr beim Auszug helfen und sie schien froh darüber zu sein. Jetzt muss ich mir nur noch die Namen der sechs Kinder merken.

4. Mai
Ich habe bei der Vermieterin angerufen und mich vorgestellt. Sie schien erleichtert, einen deutschsprachigen Ansprechpartner zu haben und meinte, die Wohnung werde im Moment noch renoviert, sei aber bald bezugsfertig. Wir haben bei eBay Kleinanzeigen schon eine sehr günstige Waschmaschine gefunden und dürfen sie am Freitag vorbeibringen. Der Anfang ist gemacht.

8. Mai
Die Waschmaschine ist da. Ein erster Schritt zur eingerichteten Wohnung. Außerdem war der Besitzer der Wohnung sehr nett und neugierig. Das gibt uns ein gutes Gefühl.

17. Mai
Heute war der erste große Tag.
In den letzten zwei Wochen waren Alena und ich mehrere Male in der Unterkunft und haben mit der Mutter darüber geredet, was wir bis dato geplant haben und welche Fortschritte wir machen. Zum Glück müssen wir nicht für jedes Möbelstück in die Unterkunft, denn der älteste Sohn hat ein Smartphone und wir können ihm Fotos per Whatsapp schicken, die er dann seiner Mutter zeigt. So bekommen wir schnelle Rückmeldungen dazu, ob ihr die Möbel gefallen. Wir möchten, dass die Mutter so viel wie möglich vorab sieht und abnickt, damit sie sich hinterher in ihrer Wohnung wohlfühlen kann.
Wir haben die Sachen entweder sehr günstig bei eBay gefunden und mit den Anbietern den Sonntag als Abholtermin vereinbart, oder wir haben sie in der Sachspendenliste gefunden, die von Angelika Feß betreut wird. Angelika hat den ultimativen Überblick über alle Spenden, die von irgendwem angeboten wurden. Sie ist eine riesige Hilfe. Wenn man ihr sagt, man braucht ein Bett oder einen Schrank, vermittelt sie Fotos und den Kontakt. Wir haben dann immer dem ältesten Sohn Fotos geschickt und wenn es gut war, haben wir Kontakt aufgenommen zum Spender und mit ihm den Termin abgesprochen. Zum Glück hatten die meisten an diesem Sonntag Zeit.
Heute also haben wir einen Transporter gemietet und ein paar starke Männer aus der Unterkunft mitgenommen, um alle Sachen einzusammeln. Diese Hilfsbereitschaft und das Teamwork sind großartig. Auch die Familie selbst war in der Wohnung und hatte schon einmal angefangen zu putzen. Am Ende hatte jedes Kind einen Putzlappen in der Hand.

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18. Mai

Ein kleiner Durchhänger. Ja, es war anstrengend gestern. Obwohl ich nicht einmal selbst viel geschleppt oder aufgebaut habe (denn das kann ich leider nicht), bin ich müde von der Fahrerei und dem Gewusel um mich herum. Wir hatten unsere Jungs und die haben unermüdlich abgebaut, getragen und aufgebaut. Fazit des gestrigen Tages: In der 110 Quadratmeter großen 4-Zimmer-Wohnung stehen fünf von sieben Betten komplett, die restlichen teilweise (aber das kriegen wir auch noch hin). Das Wohnzimmer hat eine Sofagarnitur mit Tisch, Fernseher und Fernsehschrank plus Regal. Das Schlafzimmer der Mutter und der Kleinsten ist eingerichtet.

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Ich bin heute müde, aber sehr glücklich müde, weil wir gestern durch die Zusammenarbeit von Bewohnern der Unterkunft, der Familie und Ehrenamtlichen unglaublich viel geschafft haben. Sogar für eine zweite Familie haben wir am Ende noch eine Wohnungsauflösung genutzt und konnten so auch diese Familie fast vollständig ausstatten. Nun fehlen Teppiche, Gardinen und: die Küche. Dafür brauchen wir dann doch erst einmal Geld vom Amt. Und darauf warten wir jetzt.

Zwischenfazit: Als ich die Betreuung der Familie übernommen habe, wusste ich nicht, was genau auf mich zukommt, aber ich dachte, zusammen mit Alena schaffe ich das schon. Nun sind die ersten zwei Wochen nach der Entscheidung vergangen und auch, wenn ich in manchen Momenten denke, das ist schon viel Arbeit neben einem Vollzeit-Job mit Pendeln, freue ich mich, dass ich es mache und bin gespannt auf die Sachen, die noch kommen, bis jeder Mensch in dieser Familie das Gefühl hat, zuhause zu sein.

Tex und Fotos: Meike Hermwapelhorst

Alena berichtet:

18. Mai
„Jetzt aber schnell…
Am Wochenende haben wir (mit großer Unterstützung) schon viel geschafft. Nun hat uns die Mutter der Familie mitgeteilt, dass sie in Ihre Wohnung ziehen muss. Damit haben wir nicht gerechnet. Jetzt wird es dringlich zumindest eine Matratze für jeden und eine Küche zu organisieren, damit die Kinder versorgt werden können. Aber spontan, das können wir ja. Meike hat mit der Mutter Kleinanzeigen durchstöbert und geschaut, welche Küchen finanzierbar sind und auch ein bisschen gefallen. Und es wurde direkt ein Schnäppchen aufgetan. Sofort abholbereit. Sofort!? Das ist vielleicht doch zu spontan. Die Küche können wir Samstag abbauen und holen. Schnell wurden ein Transporter und Helfer organisiert. Da uns aber sicher der Freitagabend im Rekorder in den Knochen stecken wird, verschieben wir den Aufbau auf Sonntag. Auch da konnten wir schon geschickte Helfer mobilisieren, die anpacken werden.
Fehlt noch eine 1,40-m-Matratze. Dank Meikes geschultem Auge konnte sie eine im Internet finden. Ein Rabatt wurde ausgehandelt und die Matratze nach Hause geschleppt. Freitag wird noch kurz „geshoppt“ und die wichtigsten Utensilien, wie Bettdecken etc. gekauft.
Wir hatten gehofft die Wohnung etwas…na ja wohnlicher gestalten zu können, bis alle einziehen. Aber wenn bis Sonntag die wichtigsten Gegenstände da sind, muss das wohl erst mal reichen und die Wohnung kann bezogen werden.  Wir sind bisher sehr froh, dass alles so gut geklappt hat. Natürlich nur mit den ganzen fleißigen Helfern!!!! Aber irgendwie freuen wir uns auch, wenn der große Stress erst mal vorbei ist und wir von der Mutter der Familie als Dankeschön lecker bekocht werden.“
Text: Alena Mörtl