My home is my castle – Einblicke in eine Wohngemeinschaft mit Geflüchteten

My home is my castle and refugees are welcome

(von Regina)

Im August 2011 fing es an, ich dachte: Was die Pestalozzi-Familien in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts machten, kann ich auch. Sie haben damals minderjährige Jungen in ihre Familie aufgenommen. Die Jungs stammten z. B. aus der Türkei und absolvierten Ausbildungen in den Zechen des Ruhrgebiets.

Siehe hierzu auch: Ausstellungsprojekt von Viktoria Waltz und Cornelia Suhan mit dokumentarischen Bildern aus fünf Jahrzehnten:
http://www.dortmund.de/media/downloads/pdf/news_pdf/2015_5/Glueckauf_Kleinkatalog_7a_WEB.pdf

In meine Wohnung zog Ziba aus Afghanistan mit ihren beiden Jungs: Nima war damals 5 und Kanishka 2 Jahre alt. Sie bei mir aufzunehmen, sicherte ihnen die Möglichkeit, in Dortmund zu bleiben. Ansonsten hätten sie nach Jena ziehen müssen.

Meine Wohnung bietet genug Fläche und verfügt über zwei Badezimmer. In der Nachbarschaft gibt es einen iranischen Laden. Deren Besitzerin, die Mitte der 80er selbst als Flüchtling aus dem Iran nach Dortmund kam, würde Ziba während meiner Arbeitszeit unterstützen.

„Nein, sie hat mir die Wohnung nicht ausgeräumt und nichts geklaut“

Allerdings bin ich manchmal, wenn ich abends schwungvoll die Wohnungstür öffnen wollte, mit dem Kopf gegen die Tür gerummst. Warum? Weil Ziba aus Angst oder Unsicherheit den Sicherheitsriegel vorgelegt hatte. Mangels einer gemeinsamen Sprache wirkte unsere nonverbale Verständigung manchmal filmreif. Kanishka war der Topkommunikator des Nonverbalen – schauspielreif – das ist bis heute so, obwohl er als mittlerweile Erstklässler inzwischen munter deutsch plappert. Leider klappt es dafür noch nicht so richtig mit Dari, seiner Muttersprache.

Als wir noch miteinander wohnten hatten wir witzige, schöne und auch andere Momente:

Wie das eben so ist, wenn man miteinander lebt: Es menschelt

In ihrer ersten Woche bei mir saßen wir mit befreundeten Nachbarn zusammen. Ich hatte mir das als Willkommensessen ausgedacht. Es stellte sich heraus: Knapp vorbei ist auch daneben bzw. „gut gemeint“ bewirkt manchmal auch das Gegenteil, denn Ziba verhielt sich an diesem Abend anders als sonst, eher verschlossen und zurückhaltend. Sie zog sich sehr früh mit den Kindern in ihr Zimmer zurück.

„Nun“, sagte ich zu Mattes, „Das lag vielleicht an deiner stürmischen, freundlichen Begrüßung“, und schlaumeierte: „Weißt du, muslimische Frauen geben fremden Männern nicht die Hand, aber sie konnte ja nicht anders, weil du ihr keine Gelegenheit dazu gelassen hast.“

Es folgte eine spannende Diskussion über Integrations- und Assimilationsleistungen, Recht auf Selbstbestimmung und und und.

Jahre später erzählte mir Ziba, was an dem Abend wirklich los war: Sie sei davon ausgegangen, dass ich dem befreundeten Paar, die ja auch kinderlos und sehr kinderfreundlich sind, ihre Kinder Nima und Kanishka an dem Abend verkaufen wollte.

Sie hatte sich aus Angst in ihr Zimmer zurückgezogen

Aufgrund der Erfahrungen auf dem langen Fluchtweg konnte sie sich nicht vorstellen, weshalb jemand ohne Gegenleistung einfach so helfen würde.

Eine der schönsten Episoden wurde unsere ganz persönliche Weihnachtsgeschichte in der Dortmunder Sonnenstraße: Tooran, Zibas Ehemann, zog kurz vor dem Heiligen Abend auch noch bei uns ein. Ganz ehrlich, es hat mich schon ein bisschen erschrocken, als Ziba mir am Telefon, vor Freude weinend, während ich an meinem Arbeitsplatz saß, davon erzählte. Ich dachte: „Ok, jetzt hast du den Salat und einen afghanischen Mann im Haus. Das kann ja lustig werden.“ Etwas angespannt fuhr ich heimwärts. Meine jahrzehntelange Sozialisation in der westeuropäischen Frauenbewegung, viele Auseinandersetzungen mit verschiedensten Chauvis, Softies und Normalos männlichen Geschlechts aus meinem vertrauten Kulturkreis ließen mich dann doch relativ gelassen in diese selbst eingebrockte Auseinandersetzung ziehen.

Tja, Mindfucking ist das eine, das andere ist das Leben

Da saß vor vier Jahren dann in meiner Wohnung ein sympathischer, attraktiver Mann, der mich wie ein Honigkuchenpferd anstrahlte. Und Schneidern kann er auch noch. Und wie! 🙂 Ich führe übrigens die Modelle gerne vor, die er mir in den letzten Jahren nähte: So schick war ich in noch keinem Lebensjahrzehnt. Das Beste an diesem Weihnachten war das „Klingglöckchenklingelingeling“, gemeinsam mit meiner damals 86jährigen Mutter. Wie Mamas in dem Alter so sind, sagte sie beim Essen: „Na, Ziba, trink doch ruhig ein Schlückchen Wein mit uns, jetzt, wo dein Mann wieder da ist.“ Oje, war mir das peinlich und so schlaumeierte ich mal wieder: „Mensch, Mutti, du weißt doch, dass Ziba als Muslima keinen Alkohol trinkt.“ Meine Mutter zwinkerte Ziba einfach zu und sie spürte, dass meine Mutter es nicht böse meinte, während ich, mich etwas blöd fühlend, mit hängenden Armen daneben saß.

Ja klar, manchmal hatten wir auch Streit

Eines Tages schimpfte Ziba in ihrer Muttersprache mit ihrem fünfjährigen Sohn: Er solle nicht weinen, sondern sich wie ein Mann benehmen. Das veranlasste mich – in meiner Muttersprache – zur Furie zu werden. Ich fragte sie, ob sie sich vielleicht selbst wie eine erwachsene Frau benehmen könne und nicht wie eine Zwölfjährige, die einen Knoten in den Armen hat. Ihr Sohn sei noch ein Kind: „Frauen brauchen keine Männer, sondern können selber machen, was zu tun ist. Also nimm du Nima lieber in den Arm und tröste ihn. Er ist schließlich dein Sohn. Du musst auf ihn aufpassen, nicht umgekehrt.“

Inzwischen könnte ich ein dickes Buch über all die Erlebnisse schreiben

Die Begegnung mit dem anderen im eigenen Zuhause ist spannend, jedoch nichts für jene, die Bequemlichkeit bevorzugen.

Als ich meinen jetzigen Lebenspartner kennen lernte, weihte ich ihn gleich darüber ein, dass ich nur vermeintlich ein Single sei, tatsächlich sogar eine Großfamilie hätte, die ständig wachse. Gemütlich sei es bei und mit mir auch eher nicht. „Passt“, sagte er dazu. Und für mich ist es wunderbar, mit „50 plus“ einen Bündnispartner auch in dieser Sache gefunden zu haben:

„Our home is our castle and refugees are welcome“

Es ist sehr schön, in den Jahren unseres Zusammenlebens, bereits einigen Gästen ein vorübergehendes Zuhause geboten zu haben und sie an unserem Leben teilhaben zu lassen. Sie haben unser Leben in vielerlei Hinsicht bereichert. Ich bin sehr gespannt darauf, mich in einigen Jahren rückblickend mit all unseren zeitweiligen Mitbewohnern darüber auszutauschen, was sie in der Zeit unseres Kennenlernens dachten und fühlten.

Auszugshilfe

Erster Einsatz beim Umzug in eine Wohnung

geschrieben von Hauke

Vor gut zwei Monaten nahm ich mit Freunden erstmals am Stammtisch vom Projekt Ankommen teil: Viele Informationen, viele unterschiedliche Aufgabengebiete, aber vor allem viele hilfsbereite Menschen.

Wir boten unsere Mithilfe in der Umzugsgruppe an. Was das im Detail bedeuten würde war uns anfangs nicht bewusst – „Das wird sich schon zeigen“. Und tatsächlich bekamen mein Freund Marian und ich circa drei Wochen später die Möglichkeit, aktiv zu helfen. Gemeinsam mit Meike und Chris, die wir noch gar nicht kannten, bildeten wir fortan eine Vierergruppe. Dem gemeinsamen Treffen bei Alena, die uns noch einmal alle relevanten Informationen lieferte, folgte ein Besuch der Unterkunft in der Adlerstraße: In einer ausgesprochen lockeren Atmosphäre lernten wir A. und R. kennen.

Die Sorge über Probleme bei der Kommunikation erwies sich als unbegründet

Die beiden waren sogar schon im Besitz des Schlüssels für die gemeinsame WG. Für einen ersten Überblick verabredeten wir einen gemeinsamen Besuch der Wohnung am nächsten Tag.

Wir mussten leider feststellen, dass die Wohnung in der Nähe des Borsigplatzes in keinem guten Zustand war. Neben verträglichen Mängeln, wie veralteten Lichtschaltern oder abgenutzten Bodenbelägen, fiel besonders das Bad durch einen katastrophalen Zustand auf: Ein kaputter Spülkasten, keine Armaturen, Stromkabel, die ungeschützt aus der Decke hingen. Hinzu kam noch eine völlig unverputzte Wand in der Küche. A. und R. schien allerdings nicht bewusst zu sein, dass diese Mängel nicht unbedingt üblich sind. Im Gegenteil, sie beschäftigten sich bereits mit deren Beseitigung.

Wir beschlossen, den Vermieter zu kontaktieren, der uns zusicherte, die Wohnung mit uns anzuschauen.

Wir waren sehr überrascht, was die beiden zukünftigen WG-Bewohner selbst organisiert hatten:

Fast alle Räume schon fertig gestrichen, das Material zum Verputzen der Wand, sowie zum Aufbereiten des Badezimmers bereits gekauft. Außerdem hatten sie erfolgreich die Anmeldung der Strom- und Gasversorgung und die GEZ-Befreiung erledigt. Nur Möbel fehlten, aber dafür waren wir schließlich da.

Oberstes Ziel war es, die beiden bei der Wohnungseinrichtung vollständig einzubinden. Die Einrichtung der ersten Wohnung ist etwas Besonderes, das man nicht unbedingt komplett aus der Hand geben möchte. Meike übernahm dabei die Kommunikation – jedes angebotene Möbelstück sollte zunächst bewilligt werden.

Wir versuchten, möglichst wenig Geld auszugeben. Je mehr am Ende übrig bleibt, desto besser für die zukünftige Wohngemeinschaft.

Als besonders nützlich sollte sich das kostenfreie Computerprogramm OneNote erweisen. Dadurch war es möglich, die gemeinsam erstellte ToDo-Liste in einem für alle zugänglichen Dokument zu bearbeiten.

Die Möbelsuche gestaltete sich einfacher als angenommen

Bei der Organisation der teuren Anschaffungen, wie Kühlschrank, Herd und Waschmaschine, zeigte sich die Hilfsbereitschaft unserer privaten Kontakte.

Meike und Chris beschäftigten sich intensiv mit der Suche in den Ebay-Kleinanzeigen. Innerhalb einer Woche hatten wir alle zum Leben notwendigen Möbel organisiert. Nun mussten die Dinge „nur noch“ von A nach B transportiert werden.

An einem Samstag, zwei Wochen nach dem ersten Besuch der Wohnung, absolvierten wir den Umzug. Wir vier, unterstützt durch weitere Freunde, lieferten die Möbel an. A. und R hatten zusätzliche Hilfe organisiert und stellten die Möbel an ihren zukünftigen Platz.

Der gesamte Umzug ließ sich in sechs Stunden über die Bühne bringen

Besonders erwähnenswert ist die gute Qualität der Möbelstücke, die wir kostenlos bekommen haben. Sogar den Transport konnten wir durch privates Engagement gratis abwickeln. Am meisten beeindruckt hat uns die Veränderung der Wohnung. Die beiden zeigten sich handwerklich sehr begabt: Die Wand hatten sie verputzt, das Bad in einen nutzungsfähigen Zustand gebracht.

In den Wochen nach dem Umzug gelang es uns immer wieder, kleinere und größere Anschaffungen für die zwei zu organisieren. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Wohnung annähernd komplett eingerichtet.

Besonders positiv: Der Vermieter übernimmt den angefallenen Materialaufwand

Die Zusammenarbeit innerhalb unserer Gruppe hat sich als sehr effizient erwiesen. Den Umzug konnten wir durch eine gute Aufteilung der Organisation und Umsetzung ohne Probleme neben unserem Beruf durchführen. Auch wenn sich an der einen oder anderen Stelle die Abläufe noch optimieren lassen hat sich für mich „der Sprung ins kalte Wassser“ als genau richtig erwiesen.

Es hat Spaß gemacht zu helfen. Und das Wichtigste, A. und R. sind mit ihrer neuen Wohnung zufrieden.