`Behördendeutsch` meets teamwork..

Karina berichtet:

„Schon vor zwei Wochen war ich bei R. und seiner Frau, da er Post von der Deutschen Rentenversicherung bekommen hat. R. ist Serbe, hat einige Jahre in Deutschland gearbeitet und ist jetzt mit seiner kranken Frau hier.

Als zu Beginn ein Aufruf über die Facebook-Gruppe `Flüchtlingshilfe Adlerstrasse` kam, dass Dolmetscher gesucht werden, habe ich meine serbisch-sprachige Kollegin eingepackt und bin mit ihr in die Einrichtung gefahren. Da haben wir die beiden kennengelernt. Für mich ein absolutes Schlüsselerlebnis:
Ich bin zum ersten Mal in einer Notunterkunft, überall Menschen, Lärm, Kindergeschrei; so ein Schulflur schallt halt auch extrem. Ich fühle unbehaglich, weil man jetzt mittendrin ist. Mittendrin in diesem Flüchtlingsdrama, unter konkreten Menschen mit ihren schlimmen Schicksalen. Was sich komplett anders anfühlt, als wenn man es im Fernsehen oder Internet verfolgt.
Sprachenwirrwarr… Und meine Kollegin, die einige auf serbisch anspricht. Und plötzlich um mich herum, 10 bis 15 Leute, ich verstehe kein Wort. Ich spüre aber genau, wie dankbar und glücklich sie sind, dass da plötzlich jemand da ist, der ihre Sprache spricht.
Irgendwann ist R. da und dreht fast durch vor Freude. Seine Augen blitzen und er lacht, weint fast vor Freude und Dankbarkeit, einfach nur weil er jemanden trifft, der offenbar beide Seiten kennt. Wahnsinn…
So war das also… Seitdem weiß ich, es gibt kein Zurück. Ich werde aktiv werden und kann nicht mehr weggucken. Meine 10jährige Nichte würde sagen: „Es ist Deine fu**ing Pflicht, zu helfen!“
Und sieben Monate später, nach vielen Treffen, einem Umzug usw., sitze ich jetzt mit R., seiner Frau und Lilo in R´s Wohnzimmer und sortiere Gedanken und Unterlagen. Meine Kollegin ist im Urlaub und wir haben keinen anderen Übersetzer: Ein siebenseitiger Vordruck mit vielen verwirrenden Fragen nach einer Krankenkassennummer und was weiß ich noch. Oha…
Wenn Ihr den Blog bisher verfolgt habt, wisst Ihr, dass ich selbst Beamtin bin. Zwar in einem anderen Gebiet, aber immerhin. Ich bin Deutsche und kenne die Sprache und das `System` zumindest ein bisschen. In meinem bisher einzigen Blogeintrag habe ich geschrieben, dass ich mich mit Formularen auskenne. Ha! Pustekuchen!
Ein Glück bin ich ja aber nicht allein bei R. Lilo ist auch da. Weil Helga im Urlaub ist. Beide unterstützen mich ganz wunderbar. Inzwischen ist es auch eher so, dass ich sie unterstütze. Sie haben regelmäßig Kontakt zu R., besuchen ihn, wohnen in der Nähe, kümmern sich. Gut so. Denn ich bin derzeit beruflich eingespannt und mache anderen Organisationskram für den Verein.
Gestern schreibt mir Lilo, dass R. den Vordruck endlich unterschrieben und abgeschickt hat. Ich bin erleichtert und gespannt, wie es weitergeht..
Ich möchte Euch also folgende Dinge ans Herz legen:
1. Ja, es ist oft emotional, schwierig, und der Sprung ins kalte Wasser. Aber es geht. Irgendwie kriegt man es hin. Und wenn der Behördenkram nicht ganz richtig ausgefüllt ist, telefoniert man halt mit dem jeweiligen Sachbearbeiter/der jeweiligen Sachbearbeiterin und klärt es. Und man lernt dazu und weiß es beim nächsten Mal besser.
2. Habt keine Angst. Geht nicht, gibt´s nicht. Macht es im Team oder fragt Leute, die sich schon besser auskennen und bereits Erfahrung haben. Ich bin so froh, dass wir das serbische Paar inzwischen mit vier Leuten betreuen. Gemeinsam ist das einfacher und jeder lernt von jedem.
3. Gebt den Menschen Zeit. Sie haben viel hinter sich, sind traumatisiert, kennen die Sprache nicht, vermissen ihre Familien. Wie, verdammt noch mal, sollen die den Papierkram erledigen, wenn man selbst dabei an seine Grenzen stößt?
4. Es ist unsere „fu**ing Pflicht“ zu helfen, aber es fühlt sich auch verdammt gut an!!

 

Text: Karina Meyer