Der neue Alltag
(ein Beitrag von Alena)
In unseren Sprechstunden an jedem Dienstag und Mittwoch unterstützen wir auch weiterhin rund 150 geflüchtete Menschen wöchentlich bei kleinen und großen Problemen. Neben Anmeldungen für unsere eigenen Angebote, wie z.B. die Umzugshilfe, Deutschkurse oder Sportangebote klären wir mit den Menschen auch den Umgang mit der neuen Wohnsitzauflage oder der Aufforderung zur Passbeschaffung.
Bei den Besuchern der Sprechstunde bekomme ich meist nur einen kleinen Einblick in den neuen Alltag der Menschen. Anders sieht es bei meinen neuen, überwiegend aus Syrien stammenden, Freunden aus. Die Wohnsituationen sind bei ihnen geklärt. Die Integrationskurse laufen und sie beherrschen zusehends die deutsche Sprache.
Durch unser gemeinsames Leben in Dortmund habe ich die Möglichkeit, viel zu lernen und wichtige Erfahrungen zu sammeln. Als deutsche junge Frau ist es für mich neu, an der Tür einer Disco mit fadenscheinigen Begründungen weggeschickt zu werden. Ich hasse diese Situationen.
In diesen Momenten schäme ich mich für meine Stadt
Doch auch diese Situationen motivieren mich, mein Ehrenamt genau so intensiv wie bisher, fortzusetzen. Unermüdlich schreibe ich die Discobetreiber an – trotz des Wissens, keine Antwort zu erhalten. Genauso neu sind für mich nächtliche Polizeikontrollen, die sich ausschließlich durch das nichtdeutsche Aussehen meiner Freunde begründen. Und auch hier werde ich nicht müde, mit den Menschen darüber zu diskutieren. Ein Verhalten, das dazu führt, dass ich als einzige Deutsche in unserer Gruppe auch als Einzige meinen Ausweis in der Tasche behalten darf.
Menschen, die uns anstarren oder an uns vorbei gehen und Dinge wie „Ich hasse diese Araber“ murmeln, lernte ich zu ignorieren
Nun berichten meine Freunde jedoch immer wieder von neuen Gefühlen, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen: Gefühle, die sie mindestens ein drittes oder viertes Mal zweifeln lassen, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Natürlich fällt eine Gruppe dunkelhaariger Menschen oder eine Frau mit Kopftuch auf – auch in einer Stadt wie Dortmund. Einfach als normal wahrgenommen zu werden und in der Masse unterzugehen, ist meist schwierig. Gerade deshalb, weil stets thematisiert wird, woher sie kommen. Doch viel schlimmer scheint das Gefühl, für den Rest seines Lebens „der Flüchtling“ sein zu müssen. Hört man den Menschen zu, zeigt sich schnell, dass sie dieses Wort nicht ausstehen können. Immer auf etwas reduziert zu werden, was eigentlich „nur“ ein Teil der eigenen Geschichte ist, macht sie traurig und passiv. Es handelt sich um Menschen, die auch ein Leben hatten bevor sie nach Deutschland kamen, die einen lebensgefährlichen Weg hinter sich gelassen haben, um in Sicherheit weiterleben zu können. Wir alle sollten ihnen vielleicht ein bisschen mehr zutrauen, denn die Erfahrung zeigt bereits jetzt:Mit den richtigen Wegbegleitern fügen sich alle Dinge und es werden schon Pläne für Ausbildungen, Studium usw. geschmiedet.
Viele der geflüchteten Menschen wünschen sich, nicht mehr „der Flüchtling“ zu sein, sondern als die Persönlichkeiten wahrgenommen zu werden, die sie sind. Dann hören vielleicht auch einstudierte Sätze wie: „Ich heiße XX und ich komme aus XX auf“, denn außerhalb des Urlaubs wird von mir auch nicht erwartet, dass ich erwähne, dass ich Deutsche bin.