Kein Wenn und kein Aber

Ein persönlicher Rückblick von Meike auf das Trainofhope-Wochenende:

„Mein Freund und ich sitzen am Küchentisch, satt. Es ist Samstag Abend. Was machen wir? Ein Film? Rausgehen? Heute nicht mehr. Nein, wir sind müde. Kurz bei Facebook geschaut. Meldung: Heute Nacht kommen etwa 1.000 geflüchtete Menschen in Dortmund an. Wir schauen uns an. Was machen wir?

Meine Mitbewohnerin schreibt, sie sei um kurz vor zehn zum Rewe an der Ecke geeilt, um Obst und Wasser zu kaufen und hat es im Hausflur deponiert. Egal, ob heute oder morgen – es wird sicher gebraucht. Wir beraten, was wir tun können. Alena ist in regem Kontakt zu den anderen, hält mich auf dem Laufenden.

Kommen sie wirklich heute Nacht?

Ok, dann los. Gegen Mitternacht kommen wir am Bahnhof an und werden überrollt von Energie. Hunderte Menschen, die sich vor gefühlten Sekunden zusammengefunden, wieder auseinandergedriftet und irgendwie wieder zusammengekommen sind, ohne jede Vorbereitung organisiert wirken und ohne einen Plan vollkommen strukturiert arbeiten. Wir brauchen Tüten. Plastiktüten. Das hatten wir zuhause noch bei Facebook gelesen und alle eingepackt, die wir haben. Wir werfen sie auf den Haufen, von dem sie heruntergenommen werden, um sie mit Obst, Keksen oder Schokolade und Wasser zu füllen.

Jeder soll eine bekommen.

Daneben Decken. Isomatten. Schlafsäcke. Unmengen davon. Dreißig Meter Spenden entlang der Dortmunder U-Bahn-Station Hauptbahnhof, durch den ich manchmal gehe und denke, wie unschön dieser Ort doch ist. Heute ist er wunderschön und voller wunderschöner Menschen, die die komplette Nacht daran arbeiten werden, den Menschen ein herzliches Willkommen zu bieten.

Irgendwann kommt die Durchsage, der Zug werde nicht wie geplant gegen drei Uhr, sondern gegen acht Uhr morgens erwartet. Was nun? Durchmachen schaffe ich nicht. Wir sprechen uns ab – kurze Pause. Morgens treffen wir uns wieder. Ich fahre nach Hause, falle ins Bett, stelle den Wecker auf sieben Uhr. Es ist halb vier.

Um sieben stehe ich aufrecht im Bett.

Das klappt sonst nur, wenn das Flugzeug in den Urlaub früh startet. Wir packen unsere Tasche, nehmen die U-Bahn. Mittlerweile sind die Spenden und Tüten in Containern, der U-Bahnhof frei; Helfer überall, ein wenig planlos nach der Nacht, in der man vier, fünf Stunden uninformiert war. In Zeiten von Twitter und Facebook kann sich in dieser Zeit alles ändern. Wir warten einfach ab.

Dann die Meldung: Um viertel vor neun kommt ein Zug an. Wir stehen bereit. Ein bisschen dauert es, dann fährt der ICE an Gleis 8 ein. Der Bahnsteig voller Menschen, Journalisten und Kameras. Was hier als nächstes passiert, wird in ein paar Stunden in vielen Medien zu sehen sein. Das Dortmunder Willkommen: Jeder einzelne, der aus dem Zug steigt, bekommt Applaus. Die Banner werden hochgereckt, die Frau an der Rolltreppe gibt jedem Kind einen Kinderriegel. Manche Männer bleiben in der Tür des Zuges stehen und richten noch ihre Haare, bevor sie aussteigen.

Ich weine und komme mir albern dabei vor.

Der Rest des Tages ist eine einzige Szene. Eine Geräuschkulisse, die eigentlich nicht auszuhalten ist, aber man hört es gar nicht. Ein Gewimmel, bei dem man sonst in der Großstadt immer wieder kontrolliert, ob die Tasche noch da ist. Eine Atmosphäre von unglaublicher Energie, die sich in unzähligen Menschen, unzähligen Stunden und unzähligen kleinen Gesten entladen wird: Kleiderspenden sortieren – eine ganze Halle voller Berge von gespendeter Kleidung. Ich sehe eine Ecke gespendeter Gebetsteppiche. Ein Aufruf im Internet und eine halbe Stunde später liegen wieder zig Rucksäcke für die nächsten bereit, die sich hier mit warmer Kleidung eindecken können, bevor in der Halle nebenan Essen für sie bereitsteht.

An diesem Tag gibt es keine persönlichen Befindlichkeiten.

Es gibt kein Wenn und kein Aber. Es gibt nur Machen, Machen, Machen, damit alles irgendwie überhaupt funktionieren kann. Am Abend sehe ich die ersten Ausschnitte des WDR und bei den Ruhr Nachrichten online. Ich bekomme mit, dass Dortmund bei Einslive erwähnt wird. Das ist schön, aber dafür macht man es nicht. Dennoch gut, der Welt einmal das ganze Gesicht zu zeigen und nicht nur die rechte Seite.“

Text: Meike