Deutschkurse 50+

Seit einigen Jahren bieten wir „Deutschkurse 50+“ für Geflüchtete an, die älter sind als 50 Jahre. Unsere Erfahrung zeigt uns, dass ältere Geflüchtete ein anderes Lernumfeld brauchen als jüngere. Daher bieten wir ihnen regelmäßigen Sprachunterricht in Kleingruppen mit muttersprachlicher Begleitung auf Farsi bzw. Arabisch.

Aktuell suchen wir Dozent*innen für einen 50+Sprachkurs für ukrainische Geflüchtete. Wenn Sie uns unterstützen möchten, dann kontaktieren Sie uns per E-Mail.

Über unseren aktuellen 50+-Kurs haben junge Journalist*innen der Journalisten-Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung ein kurzes Video produziert, dass Sie auf YouTube finden.


Besondere Ehrung für Ehrenamtliche

Am 30. November 2015 traf Diplom-Rechtspflegerin Karina in Düsseldorf ihren obersten Dienstherrn, den Justizminister des Landes NRW, Thomas Kutschaty:

Er hatte die in der Flüchtlingshilfe ehrenamtlich aktiven Justizbeschäftigten zu einer Feierstunde und Ehrung eingeladen.

Ehrung der ehrenamtlich aktiven Justizbeschäftigten, Foto: Justizministerium

Karina und Justizminister Thomas Kutschaty, Foto: privat
Karina und Justizminister NRW Thomas Kutschaty, Foto: Justizministerium

Nicht die Sprache, das Interesse am Menschen zählt

Wir verstehen uns auch ohne Worte…

(geschrieben von Alena und Anke)

Anke und ich entschieden uns bei unserem ersten Patenschafts-Stammtisch im Juni mutig, die aus Afghanistan geflüchtete Mutter F. zu betreuen. Sie spricht keine uns verständliche Sprache, sondern ausschließlich Persisch und lebt mit ihrem 25-jährigen Sohn A. in einer eigenen Wohnung.

Die Kontaktaufnahme gestaltet sich schwierig

Aufgrund der fehlenden Persischkenntnisse klappt die erste telefonische Terminvereinbarung nur mit Hilfe einer Arbeitskollegin. Ich erinnere mich noch genau an den Moment als wir das erste Mal vor ihrer Haustür standen, nicht wissend, was uns erwartet und wie wir mit ihnen kommunizieren können.

Angst, Unsicherheit, Nervosität

Wir wurden in die Wohnung gebeten und bekamen erstmal einen Chai-Tee serviert. Neben einem Tisch voller Papiere, diversen Arzt- und Krankenhausunterlagen sowie einem Haufen verschiedener Tabletten, ablaufenden Aufenthalts-Duldungsgenehmigungen und Zetteln mit handgeschriebenen, nicht zuzuordnenden Telefonnummern, haben wir offensichtlich auch die psychischen Probleme eines Kriegsflüchtlings erheblich unterschätzt. Es flossen viele Tränen.

Wir – nervös und überfordert, weil wir nichts falsch machen wollten. Sie – nervös, weil sie nicht verstanden haben, wer wir sind und was wir eigentlich von ihnen wollten.

Zum Glück haben weder wir, noch unsere beiden Flüchtlinge sich davon abschrecken lassen und uns Zeit gegeben, etwas zwischen uns entstehen zu lassen. Wir entschieden, einmal die Woche zu festen Uhrzeiten vorbei zu kommen und planten einen Schritt nach dem anderen, um die aufgelaufenen Probleme abzuarbeiten.

Wir begannen nicht mit Amtsbesuchen oder kompliziertem Papierkram (abgesehen natürlich von der Verlängerung der Duldungsgenehmigung), sondern mit einem langsamen, gegenseitigen Kennenlernen und Aufeinanderzugehen. Wir saßen zusammen, tranken Unmengen an Chai-Tee und versuchten, uns mit Händen und Füßen, Deutsch, Englisch und Persisch gegenseitig Geschichten zu erzählen.

Mittlerweile haben wir eine eigene Sprache entwickelt und das Gefühl, einander zu verstehen – auch wenn wir durch einen Dolmetscher leider ehrlicherweise erfuhren, dass wir öfter völlig aneinander vorbei redeten. Nun ja, es spricht die gegenseitige Zuneigung, Sympathie und Dankbarkeit, wenn wir miteinander kommunizieren. Das ist doch schon mal was.

Davon zu erfahren, warum und wie sie von Afghanistan hierher gekommen sind, dass dort noch eine Tochter/Schwester lebt, wo sie genau her kommen, welcher Religion sie angehören und was sie sich für die Zukunft wünschen, haben uns gerührt und waren für uns unvorstellbar.

Sich auszumalen, was diese beiden Menschen hinter sich gelassen und auf sich genommen haben, macht uns demütig

Aufgrund der psychischen Probleme von F. war es für uns anfangs kaum denkbar, dass sie einen Sprachkurs besucht oder alleine im Alltag zurechtkommt. Sie schaffte es anfangs nicht, alleine vor die Tür zu gehen. Ich erinnere mich an einen Tag, als sie in Ankes Begleitung mit dem Zug zu einem Arzt fahren musste. Voller Panik sah sie Anke am Hauptbahnhof an und wusste nicht, wie sie nach dem Arztbesuch alleine zurück nach Hause finden sollte.

Wir setzten sie bezüglich des Sprachkurses nicht unter Druck und stellten irgendwann fest, dass sie von sich aus dazu bereit und motiviert war. Wir unterstützten sie, ihre Ängste abzubauen, fuhren gemeinsam U-Bahn und zeigten ihr den Weg zurück nach Haus. Auch kleine Hilfen im Alltag, wie z.B. der Weg zu einem Telefonshop, in dem sie sehr viel günstiger als mit dem Handy mit ihrer Tochter im Iran telefonieren kann, haben große Auswirkungen.

Immer wieder fühlten wir uns in ihre Situation ein und schauten, was sie brauchen könnte, um ihr das Leben hier etwas zu erleichtern bzw. zu verschönern und entwickelten dabei immer mehr Ideen.

Mittlerweile gehen beide seit Wochen regelmäßig zu ihren Sprachkursen und lernen motiviert deutsch. Vor zwei Wochen äußerte F. den Wunsch, uns als Dankeschön für unsere Unterstützung zu bekochen.

Ein toller Abend, der uns sehr berührte

Wir wurden mit so viel Herzlichkeit und Wärme empfangen, dass wir gar nicht wieder gehen wollten. Der Tisch war mit Liebe gedeckt. Eine Kerze wurde angezündet. Es gab so viel Essen wie bei uns an Weihnachten. Wir lernten vieles über afghanisches Essen, Traditionen und Kultur. Ein Gemisch aus Persisch, Deutsch und Englisch flog durch den Raum. Das Allerschönste: Es wurde viel gelacht. Das bisherige Fazit unserer Patenschaft lautet:

Nicht die Sprache, sondern das Interesse am Menschen zählt

Wir haben erfahren, wie sich Beziehung und Freundschaft nicht nur durch Worte entwickeln kann.

Nach vier Monaten haben wir das Gefühl, die beiden schon ewig zu kennen. Wir wissen jetzt, dass wir an uns keine hohen Ansprüche stellen oder Angst haben müssen, etwas falsch zu machen. Für uns ist das „Flüchtlingsleben“ genauso neu gewesen wie für die Flüchtlinge selbst, mit dem Unterschied, dass wir verstehen, was die Umwelt von ihnen will oder verlangt. Wir sind zusammen in diese Patenschaft hinein gewachsen. Wir helfen, wo und wie wir können, aber wenn es nicht geht, geht es eben nicht. Und wenn keine Fragen oder Probleme offen sind, dann sind wir trotzdem herzlich willkommen – als wäre man zu Hause.

Wir blicken zurück auf das, was entstanden ist und sind erfüllt mit Liebe, Glück und Dankbarkeit. Damit haben wir nicht gerechnet. Am schönsten war es, mitzuerleben, wie Tränen größtenteils durch Lachen ersetzt wurden.

Inzwischen haben wir die zwei so lieb gewonnen, unsere regelmäßigen Treffen sind nicht mehr wegzudenken.

Gemeinsames Essen, Foto: privat

Auszugshilfe

Erster Einsatz beim Umzug in eine Wohnung

geschrieben von Hauke

Vor gut zwei Monaten nahm ich mit Freunden erstmals am Stammtisch vom Projekt Ankommen teil: Viele Informationen, viele unterschiedliche Aufgabengebiete, aber vor allem viele hilfsbereite Menschen.

Wir boten unsere Mithilfe in der Umzugsgruppe an. Was das im Detail bedeuten würde war uns anfangs nicht bewusst – „Das wird sich schon zeigen“. Und tatsächlich bekamen mein Freund Marian und ich circa drei Wochen später die Möglichkeit, aktiv zu helfen. Gemeinsam mit Meike und Chris, die wir noch gar nicht kannten, bildeten wir fortan eine Vierergruppe. Dem gemeinsamen Treffen bei Alena, die uns noch einmal alle relevanten Informationen lieferte, folgte ein Besuch der Unterkunft in der Adlerstraße: In einer ausgesprochen lockeren Atmosphäre lernten wir A. und R. kennen.

Die Sorge über Probleme bei der Kommunikation erwies sich als unbegründet

Die beiden waren sogar schon im Besitz des Schlüssels für die gemeinsame WG. Für einen ersten Überblick verabredeten wir einen gemeinsamen Besuch der Wohnung am nächsten Tag.

Wir mussten leider feststellen, dass die Wohnung in der Nähe des Borsigplatzes in keinem guten Zustand war. Neben verträglichen Mängeln, wie veralteten Lichtschaltern oder abgenutzten Bodenbelägen, fiel besonders das Bad durch einen katastrophalen Zustand auf: Ein kaputter Spülkasten, keine Armaturen, Stromkabel, die ungeschützt aus der Decke hingen. Hinzu kam noch eine völlig unverputzte Wand in der Küche. A. und R. schien allerdings nicht bewusst zu sein, dass diese Mängel nicht unbedingt üblich sind. Im Gegenteil, sie beschäftigten sich bereits mit deren Beseitigung.

Wir beschlossen, den Vermieter zu kontaktieren, der uns zusicherte, die Wohnung mit uns anzuschauen.

Wir waren sehr überrascht, was die beiden zukünftigen WG-Bewohner selbst organisiert hatten:

Fast alle Räume schon fertig gestrichen, das Material zum Verputzen der Wand, sowie zum Aufbereiten des Badezimmers bereits gekauft. Außerdem hatten sie erfolgreich die Anmeldung der Strom- und Gasversorgung und die GEZ-Befreiung erledigt. Nur Möbel fehlten, aber dafür waren wir schließlich da.

Oberstes Ziel war es, die beiden bei der Wohnungseinrichtung vollständig einzubinden. Die Einrichtung der ersten Wohnung ist etwas Besonderes, das man nicht unbedingt komplett aus der Hand geben möchte. Meike übernahm dabei die Kommunikation – jedes angebotene Möbelstück sollte zunächst bewilligt werden.

Wir versuchten, möglichst wenig Geld auszugeben. Je mehr am Ende übrig bleibt, desto besser für die zukünftige Wohngemeinschaft.

Als besonders nützlich sollte sich das kostenfreie Computerprogramm OneNote erweisen. Dadurch war es möglich, die gemeinsam erstellte ToDo-Liste in einem für alle zugänglichen Dokument zu bearbeiten.

Die Möbelsuche gestaltete sich einfacher als angenommen

Bei der Organisation der teuren Anschaffungen, wie Kühlschrank, Herd und Waschmaschine, zeigte sich die Hilfsbereitschaft unserer privaten Kontakte.

Meike und Chris beschäftigten sich intensiv mit der Suche in den Ebay-Kleinanzeigen. Innerhalb einer Woche hatten wir alle zum Leben notwendigen Möbel organisiert. Nun mussten die Dinge „nur noch“ von A nach B transportiert werden.

An einem Samstag, zwei Wochen nach dem ersten Besuch der Wohnung, absolvierten wir den Umzug. Wir vier, unterstützt durch weitere Freunde, lieferten die Möbel an. A. und R hatten zusätzliche Hilfe organisiert und stellten die Möbel an ihren zukünftigen Platz.

Der gesamte Umzug ließ sich in sechs Stunden über die Bühne bringen

Besonders erwähnenswert ist die gute Qualität der Möbelstücke, die wir kostenlos bekommen haben. Sogar den Transport konnten wir durch privates Engagement gratis abwickeln. Am meisten beeindruckt hat uns die Veränderung der Wohnung. Die beiden zeigten sich handwerklich sehr begabt: Die Wand hatten sie verputzt, das Bad in einen nutzungsfähigen Zustand gebracht.

In den Wochen nach dem Umzug gelang es uns immer wieder, kleinere und größere Anschaffungen für die zwei zu organisieren. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Wohnung annähernd komplett eingerichtet.

Besonders positiv: Der Vermieter übernimmt den angefallenen Materialaufwand

Die Zusammenarbeit innerhalb unserer Gruppe hat sich als sehr effizient erwiesen. Den Umzug konnten wir durch eine gute Aufteilung der Organisation und Umsetzung ohne Probleme neben unserem Beruf durchführen. Auch wenn sich an der einen oder anderen Stelle die Abläufe noch optimieren lassen hat sich für mich „der Sprung ins kalte Wassser“ als genau richtig erwiesen.

Es hat Spaß gemacht zu helfen. Und das Wichtigste, A. und R. sind mit ihrer neuen Wohnung zufrieden.

Kein Wenn und kein Aber

Ein persönlicher Rückblick von Meike auf das Trainofhope-Wochenende:

„Mein Freund und ich sitzen am Küchentisch, satt. Es ist Samstag Abend. Was machen wir? Ein Film? Rausgehen? Heute nicht mehr. Nein, wir sind müde. Kurz bei Facebook geschaut. Meldung: Heute Nacht kommen etwa 1.000 geflüchtete Menschen in Dortmund an. Wir schauen uns an. Was machen wir?

Meine Mitbewohnerin schreibt, sie sei um kurz vor zehn zum Rewe an der Ecke geeilt, um Obst und Wasser zu kaufen und hat es im Hausflur deponiert. Egal, ob heute oder morgen – es wird sicher gebraucht. Wir beraten, was wir tun können. Alena ist in regem Kontakt zu den anderen, hält mich auf dem Laufenden.

Kommen sie wirklich heute Nacht?

Ok, dann los. Gegen Mitternacht kommen wir am Bahnhof an und werden überrollt von Energie. Hunderte Menschen, die sich vor gefühlten Sekunden zusammengefunden, wieder auseinandergedriftet und irgendwie wieder zusammengekommen sind, ohne jede Vorbereitung organisiert wirken und ohne einen Plan vollkommen strukturiert arbeiten. Wir brauchen Tüten. Plastiktüten. Das hatten wir zuhause noch bei Facebook gelesen und alle eingepackt, die wir haben. Wir werfen sie auf den Haufen, von dem sie heruntergenommen werden, um sie mit Obst, Keksen oder Schokolade und Wasser zu füllen.

Jeder soll eine bekommen.

Daneben Decken. Isomatten. Schlafsäcke. Unmengen davon. Dreißig Meter Spenden entlang der Dortmunder U-Bahn-Station Hauptbahnhof, durch den ich manchmal gehe und denke, wie unschön dieser Ort doch ist. Heute ist er wunderschön und voller wunderschöner Menschen, die die komplette Nacht daran arbeiten werden, den Menschen ein herzliches Willkommen zu bieten.

Irgendwann kommt die Durchsage, der Zug werde nicht wie geplant gegen drei Uhr, sondern gegen acht Uhr morgens erwartet. Was nun? Durchmachen schaffe ich nicht. Wir sprechen uns ab – kurze Pause. Morgens treffen wir uns wieder. Ich fahre nach Hause, falle ins Bett, stelle den Wecker auf sieben Uhr. Es ist halb vier.

Um sieben stehe ich aufrecht im Bett.

Das klappt sonst nur, wenn das Flugzeug in den Urlaub früh startet. Wir packen unsere Tasche, nehmen die U-Bahn. Mittlerweile sind die Spenden und Tüten in Containern, der U-Bahnhof frei; Helfer überall, ein wenig planlos nach der Nacht, in der man vier, fünf Stunden uninformiert war. In Zeiten von Twitter und Facebook kann sich in dieser Zeit alles ändern. Wir warten einfach ab.

Dann die Meldung: Um viertel vor neun kommt ein Zug an. Wir stehen bereit. Ein bisschen dauert es, dann fährt der ICE an Gleis 8 ein. Der Bahnsteig voller Menschen, Journalisten und Kameras. Was hier als nächstes passiert, wird in ein paar Stunden in vielen Medien zu sehen sein. Das Dortmunder Willkommen: Jeder einzelne, der aus dem Zug steigt, bekommt Applaus. Die Banner werden hochgereckt, die Frau an der Rolltreppe gibt jedem Kind einen Kinderriegel. Manche Männer bleiben in der Tür des Zuges stehen und richten noch ihre Haare, bevor sie aussteigen.

Ich weine und komme mir albern dabei vor.

Der Rest des Tages ist eine einzige Szene. Eine Geräuschkulisse, die eigentlich nicht auszuhalten ist, aber man hört es gar nicht. Ein Gewimmel, bei dem man sonst in der Großstadt immer wieder kontrolliert, ob die Tasche noch da ist. Eine Atmosphäre von unglaublicher Energie, die sich in unzähligen Menschen, unzähligen Stunden und unzähligen kleinen Gesten entladen wird: Kleiderspenden sortieren – eine ganze Halle voller Berge von gespendeter Kleidung. Ich sehe eine Ecke gespendeter Gebetsteppiche. Ein Aufruf im Internet und eine halbe Stunde später liegen wieder zig Rucksäcke für die nächsten bereit, die sich hier mit warmer Kleidung eindecken können, bevor in der Halle nebenan Essen für sie bereitsteht.

An diesem Tag gibt es keine persönlichen Befindlichkeiten.

Es gibt kein Wenn und kein Aber. Es gibt nur Machen, Machen, Machen, damit alles irgendwie überhaupt funktionieren kann. Am Abend sehe ich die ersten Ausschnitte des WDR und bei den Ruhr Nachrichten online. Ich bekomme mit, dass Dortmund bei Einslive erwähnt wird. Das ist schön, aber dafür macht man es nicht. Dennoch gut, der Welt einmal das ganze Gesicht zu zeigen und nicht nur die rechte Seite.“

Text: Meike

Kein Wenn und kein Aber

Ein persönlicher Rückblick von Meike auf das Trainofhope-Wochenende:

„Mein Freund und ich sitzen am Küchentisch, satt. Es ist Samstag Abend. Was machen wir? Ein Film? Rausgehen? Heute nicht mehr. Nein, wir sind müde. Kurz bei Facebook geschaut. Meldung: Heute Nacht kommen etwa 1.000 geflüchtete Menschen in Dortmund an. Wir schauen uns an. Was machen wir?

Meine Mitbewohnerin schreibt, sie sei um kurz vor zehn zum Rewe an der Ecke geeilt, um Obst und Wasser zu kaufen und hat es im Hausflur deponiert. Egal, ob heute oder morgen – es wird sicher gebraucht. Wir beraten, was wir tun können. Alena ist in regem Kontakt zu den anderen, hält mich auf dem Laufenden.

Kommen sie wirklich heute Nacht?

Ok, dann los. Gegen Mitternacht kommen wir am Bahnhof an und werden überrollt von Energie. Hunderte Menschen, die sich vor gefühlten Sekunden zusammengefunden, wieder auseinandergedriftet und irgendwie wieder zusammengekommen sind, ohne jede Vorbereitung organisiert wirken und ohne einen Plan vollkommen strukturiert arbeiten. Wir brauchen Tüten. Plastiktüten. Das hatten wir zuhause noch bei Facebook gelesen und alle eingepackt, die wir haben. Wir werfen sie auf den Haufen, von dem sie heruntergenommen werden, um sie mit Obst, Keksen oder Schokolade und Wasser zu füllen.

Jeder soll eine bekommen.

Daneben Decken. Isomatten. Schlafsäcke. Unmengen davon. Dreißig Meter Spenden entlang der Dortmunder U-Bahn-Station Hauptbahnhof, durch den ich manchmal gehe und denke, wie unschön dieser Ort doch ist. Heute ist er wunderschön und voller wunderschöner Menschen, die die komplette Nacht daran arbeiten werden, den Menschen ein herzliches Willkommen zu bieten.

Irgendwann kommt die Durchsage, der Zug werde nicht wie geplant gegen drei Uhr, sondern gegen acht Uhr morgens erwartet. Was nun? Durchmachen schaffe ich nicht. Wir sprechen uns ab – kurze Pause. Morgens treffen wir uns wieder. Ich fahre nach Hause, falle ins Bett, stelle den Wecker auf sieben Uhr. Es ist halb vier.

Um sieben stehe ich aufrecht im Bett.

Das klappt sonst nur, wenn das Flugzeug in den Urlaub früh startet. Wir packen unsere Tasche, nehmen die U-Bahn. Mittlerweile sind die Spenden und Tüten in Containern, der U-Bahnhof frei; Helfer überall, ein wenig planlos nach der Nacht, in der man vier, fünf Stunden uninformiert war. In Zeiten von Twitter und Facebook kann sich in dieser Zeit alles ändern. Wir warten einfach ab.

Dann die Meldung: Um viertel vor neun kommt ein Zug an. Wir stehen bereit. Ein bisschen dauert es, dann fährt der ICE an Gleis 8 ein. Der Bahnsteig voller Menschen, Journalisten und Kameras. Was hier als nächstes passiert, wird in ein paar Stunden in vielen Medien zu sehen sein. Das Dortmunder Willkommen: Jeder einzelne, der aus dem Zug steigt, bekommt Applaus. Die Banner werden hochgereckt, die Frau an der Rolltreppe gibt jedem Kind einen Kinderriegel. Manche Männer bleiben in der Tür des Zuges stehen und richten noch ihre Haare, bevor sie aussteigen.

Ich weine und komme mir albern dabei vor.

Der Rest des Tages ist eine einzige Szene. Eine Geräuschkulisse, die eigentlich nicht auszuhalten ist, aber man hört es gar nicht. Ein Gewimmel, bei dem man sonst in der Großstadt immer wieder kontrolliert, ob die Tasche noch da ist. Eine Atmosphäre von unglaublicher Energie, die sich in unzähligen Menschen, unzähligen Stunden und unzähligen kleinen Gesten entladen wird: Kleiderspenden sortieren – eine ganze Halle voller Berge von gespendeter Kleidung. Ich sehe eine Ecke gespendeter Gebetsteppiche. Ein Aufruf im Internet und eine halbe Stunde später liegen wieder zig Rucksäcke für die nächsten bereit, die sich hier mit warmer Kleidung eindecken können, bevor in der Halle nebenan Essen für sie bereitsteht.

An diesem Tag gibt es keine persönlichen Befindlichkeiten.

Es gibt kein Wenn und kein Aber. Es gibt nur Machen, Machen, Machen, damit alles irgendwie überhaupt funktionieren kann. Am Abend sehe ich die ersten Ausschnitte des WDR und bei den Ruhr Nachrichten online. Ich bekomme mit, dass Dortmund bei Einslive erwähnt wird. Das ist schön, aber dafür macht man es nicht. Dennoch gut, der Welt einmal das ganze Gesicht zu zeigen und nicht nur die rechte Seite.“

Text: Meike